Das zeitkratzer-Projekt „Neue Volksmusik“ ist eher Reflex auf, denn Reflektion über Volksmusik. Denn zeitkratzer musiziert nicht distanziert um ein Thema herum. Im Gegenteil, zeitkratzer eignet sich Volksmusik an. Denn Volksmusik ist stetige Veränderung. In keiner der sogenannten „ursprünglichen“ Musiken geht es um Erhaltung, Konservierung oder museale Betrachtung. Jede Volksmusik ist, was sie ist, gerade weil sie sich permanent verändert. „Reine Volksmusik“ gibt es nicht. Und so ist es nur folgerichtig, wenn zeitkratzer verschiedene musikalische Traditionen für sich beansprucht, in Besitz nimmt und nach den eigenen Vorstellungen formt. Bereits von einigen Jahren begann das zeitkratzer-Ensemble um Reinhold Friedl das Volksmusik-Projekt mit einer anarchisch-musikethnologischen Reise durch das Donautal. Von steinerweichendem Gruppen-Jodeln bis hin zu wilden Balkan-Eskapaden zog das Ensemble alle Register. Volksmusik-Bastards. Nie aber Klamauk und Satire, wiewohl dieses zeitkratzer-Projekt mit deftigem Humor gewürzt ist. Nein, Referenz und Herkunft, bleiben bei „Volksmusik“ immer hörbar.Das bisherige Donau-Repertoire der Folklore à la zeitkratzer wurde für „Neue Volksmusik“ um Musiktraditionen aus der Schweiz erweitertet. Und mit diesen verfährt das Ensemble nicht weniger radikal wie mit allem anderen auch. In Alpen Horn Noise kombiniert es Alphorn-Klänge mit rumänischem Volkstanz. Akustische Zerrbilder bajuwarisch-österreichischer Musik verschränken sich mit leierndem Gesang, den man eher dem Balkan zuordnen würde. Musikalische Traditionen purzeln durcheinander und begegnen sich neu.Wir hören volksmusikalische Grotesken, angetrieben von Kuhglocken-Perkussion und einem manischen Muezzin. Außerdem Gruppenjodler, bei denen mit Sicherheit jede Alpenmilch sauer wird, wobei der ursprüngliche Zweck des Signal-Rufes plötzlich wieder hörbar wird. Aber auch ernst und kontemplativ geht es zu auf „Neue Volksmusik“. In Alpenrose dominieren gespenstisch körperlose Klänge. Und ätherisch schweben die Akkorde in Alpsäge. Alles live eingespielt beim Alpentöne-Festival am Vierwaldstätter See in den Schweizer Bergen.zeitkratzer \u002F directed by Reinhold FriedlFrank Gratkowski: reeds, voice; Hild Sofie Tafjord: french horn, voice; Hilary Jeffery: trombone, voice; Reinhold Friedl: piano, voice; Maurice de Martin: drums, voice; Marc Weiser: guitar, voice; Lisa Marie Landgraf: violin, voice; Anton Lukoszevieze: violoncello, voice; Ulrich Phillipp: doublebass, voice; Klaus Dobbrick: sound & mix; mastered by Rashad BeckerDas Ensemble zeitkratzer, 1997 von Reinhold Friedl gegründet, ist bekannt für seine musikalische Qualität, die die sozialen Unterschiede verschiedener musikalischer Kontexte schlichtweg missachtet. Musik und Klang sind wichtig, ihre sozialen Implikationen sind es nicht. Der offene Umgang, den zeitkratzer mit zeitgenössischer Musik praktizieren, ermöglicht Kooperationen mit Noise Musikern wie Merzbow und Keiji Haino, Rock’n’Roll Experimentalisten wie Lou Reed oder William Bennett (Whitehouse), Elektronikmusikern wie Carsten Nicolai oder Terre Thaemlitz und Jazz Musikern wie Terje Rypdal oder Elliott Sharp. Re-Interpretationen von Schönberg und Bach gehören ebenso zum zeitkratzer-Repertoire wie Musik von Helmut Lachenmann, James Tenney und Morton Feldman. Und das Ensemble ist stets auf der Suche nach Neuem. Sein einzigartiger Ansatz, der internationale Ruf seiner Mitglieder, seine Unabhängigkeit und besonders die musikalische Qualität seiner Arbeiten hat zeitkratzer weltweite Anerkennung eingebracht.