DIE ZIMMERMÄNNER Liner-Notes zum Album Fortpflanzungssupermarkt Von Anja Kelber Die Zimmermänner stehen in einem Studio in Hamburg und sind konzentriert. Draußen vor dem Fenster geht die Sonne unter und wieder auf und Alsterwasser fließt einen Kanal hinauf, immer weiter hinauf, fließt so rasch wie das Jahr. Es ist ein Jahr weit nach dem Jahrtausendwechsel. Die Zimmermänner beunruhigt das nicht sie haben Zeit, seit 20 Jahren schon. 1985 dachten viele, sie wären weg vom Fenster, erledigt, hätten ihre letzte Platte gemacht. Doch die Zimmermänner schliefen nur. Das aber wussten nicht mal ihre Gründer. Detlef Diederichsen und Timo Blunck trafen sich 1980 auf einem Schulhof. Beide wollten Musik mit deutschen Texten machen. Es sollte um den eigenen Alltag gehen, nicht um eine Wunsch-Gegenwart im Angelsächsischen. Wenige Monate später stand man zu sechst als Ede & die Zimmermänner in einem Studio. Alfred Hilsberg lud die Band ein, auf seinem neuen Label ZickZack eine Single zu machen. Es hatte etwas Einzigartiges, Unvergleichbares, sagt der deutsche Independent-Papst ein Vierteljahrhundert später. Jetzt nicken Diederichsen und Blunck zum Sound, wippen mit den Füßen und beugen die Knie. Zimmermänner 2006, wer hätte das gedacht? Und dann geht der eine noch einmal in den Aufnahmeraum und singt eine endlose Reihe von Frauennamen ein, die erst Exfreundinnen in alphabetischer Reihenfolge heißt und später Tiefs. Und der andere dreht an Knöpfchen und runzelt die Stirn und summt mit und muss immer bei den gleichen Namen lächeln. 1982 debütierte man mit 1001 Wege Sex zu machen, ohne daran Spaß zu haben, Fortpflanzungssupermarkt heißt das vorliegende Album, an dem die beiden Ur-Zimmermänner nun, über 20 Jahre nach der Trennung, arbeiten. Es geht um Frauen und um Städte, um das Verhaftetsein im Alltag und die bloße Realität. Die Zimmermänner knüpfen an die damaligen Themen an, bewegen sich im gleichen Kosmos wie mit Anfang Zwanzig nur dass sie jetzt genau das richtige Alter haben für dieses ganze geballte Wissen. Diese Abgeklärtheit der jungen Zimmermänner, die trug auch zu ihrer außergewöhnlichen Bedeutung bei. In ihren Texten war schon so eine Art Altersweisheit, die manche Leute völlig vor den Kopf gehauen hat, sagt Förderer Hilsberg und erinnert sich auch an die Leichtigkeit in der Musik: Das kann man sich nicht einfach so erarbeiten. Die müssen mit Popmusik aufgewachsen sein. Frauen und Städte. Dann noch das Lied, das am Hafen spielt. Das ist amüsant, raunt Freud um die Ecke, ganz so als gäbe es ein vereinendes Motiv. Vielleicht ist Freud aber auch ein Einfaltspinsel und Diederichsen der bessere Analytiker, wenn er sagt, das mit den Städtenamen zum Beispiel, das sei einfach so eine schnöde Verankerung im tristen deutschen Alltag. Fortpflanzungssupermarkt ist eine Zeitreise. Sie beginnt 1982, da wurde der Opener Levitenlesen in A-Dur komponiert und getextet. Sie stoppt kurz 1999, da luden die Zimmermänner den Produzenten Christoph Kaiser ein, sich ein wenig in einigen ihrer älteren Songs aufzuhalten. Für Kaiser würden Stücke wie Ich bin ein Wurm und Mama Baby Joe zwar heute etwas anders klingen. In Popzeit, sagt er, sei 1999 ja doch schon ganz schön lange her. Doch dann wäre Paderborn vielleicht nicht der Tanzbodenkracher mit Fatboy-Slim-Charme, der er jetzt ist. Und vielleicht wäre die Reise anders verlaufen. So führt sie schließlich in das Studio am Kanal, wo Blunck und Diederichsen gerade eben noch komponierten, neue Songs einspielten, mischten, feilten. Nicht viele Platten können eine ähnliche Entstehungsgeschichte, einen solchen Reichtum an kollektivem Popwissen aufweisen. Es wird viel getanzt in diesem Supermarkt. Im Nirwana herrscht nicht nur die Realität gewordene Utopie, sondern auch ein ansprechender Elektrobeat, Rica Blunck hat mit Letzter Tango in Bad Ems einen wunderschönen Gastauftritt und die luftige Hommage an Christiane Paul ist jedes Jahr ein Sommerhit wert. Mama Baby Joe dagegen ist so etwas wie eine Proleten-Ballade mit Eiern. Diederichsen schrieb den Text 1985 in der Uni-Mensa. Einen Abschluss hat er bis heute nicht. Die vorliegende Musik ist nicht gemacht, um dazu Rollschuh zu fahren. Obwohl es die Zimmermänner vermutlich nicht stören würde. Die Songs verlangen Aufmerksamkeit. Sie selbst werfen einen wachen Blick auf die Bewegungen, Strömungen, Einflüsse im Pop der Gegenwart und der vergangenen Jahrzehnte. Alfred Hilsberg glaubt: Die Zimmermänner haben es geschafft, mit ihrer Musik im Hier und Jetzt anzukommen. Richtig. Und dort gehen jetzt die Studiolichter aus und die Bühnenscheinwerfer an. Anja Kelber arbeitet als freie Redakteurin und Autorin in Hamburg. In dem Jahr, in dem die Zimmermänner ihr Debütalbum vorlegten, wurde sie eingeschult. www.zimmermaenner.net www.bluwi.com www.myspace.com\u002Fzimmermaenner